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Das Märchen vom Gevatter Tod oder... wie wir die Angst vor dem Tod verlieren

Aktualisiert: 24. Juli

Eine Buchempfehlung

Sich heilen lassen
Sich heilen lassen

Es hatte ein armer Mann zwölf Kinder und mußte Tag und Nacht arbeiten, damit er ihnen nur Brot geben konnte. Als nun das dreizehnte zur Welt kam, wußte er sich in seiner Not nicht zu helfen, lief hinaus auf die große Landstraße und wollte den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Der erste, der ihm begegnete, das war der liebe Gott. Der wußte schon, was er auf dem Herzen hatte, und sprach zu ihm: "Armer Mann, du dauerst mich, ich will dein Kind aus der Taufe heben, will für es sorgen und es glücklich machen auf Erden." Der Mann sprach: "Wer bist du?" - "Ich bin der liebe Gott." - "So begehr' ich dich nicht zu Gevatter," sagte der Mann, "du gibst dem Reichen und lässest den Armen hungern." Das sprach der Mann, weil er nicht wußte, wie weislich Gott Reichtum und Armut verteilt. Also wendete er sich von dem Herrn und ging weiter. Da trat der Teufel zu ihm und sprach: "Was suchst du? Willst du mich zum Paten deines Kindes nehmen, so will ich ihm Gold die Hülle und Fülle und alle Lust der Welt dazu geben." Der Mann fragte: "Wer bist du?" - "Ich bin der Teufel." - "So begehr' ich dich nicht zu Gevatter," sprach der Mann, "du betrügst und verführst die Menschen." Er ging weiter; da kam der dürrbeinige Tod auf ihn zugeschritten und sprach: "Nimm mich zu Gevatter." Der Mann fragte: "Wer bist du?" - "Ich bin der Tod, der alle gleichmacht." Da sprach der Mann: "Du bist der Rechte, du holst den Reichen wie den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann sein." Der Tod antwortete: "Ich will dein Kind reich und berühmt machen; denn wer mich zum Freunde hat, dem kann's nicht fehlen." Der Mann sprach: "Künftigen Sonntag ist die Taufe, da stelle dich zu rechter Zeit ein." Der Tod erschien, wie er versprochen hatte, und stand ganz ordentlich Gevatter.

Als der Knabe zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pate ein und hieß ihn mitgehen. Er führte ihn hinaus in den Wald, zeigte ihm ein Kraut, das da wuchs, und sprach: "Jetzt sollst du dein Patengeschenk empfangen. Ich mache dich zu einem berühmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen: steh ich zu Häupten des Kranken, so kannst du keck sprechen, du wolltest ihn wieder gesund machen, und gibst du ihm dann von jenem Kraut ein, so wird er genesen; steh ich aber zu Füßen des Kranken, so ist er mein, und du mußt sagen, alle Hilfe sei umsonst und kein Arzt in der Welt könne ihn retten. Aber hüte dich, daß du das Kraut nicht gegen meinen Willen gebrauchst, es könnte dir schlimm ergehen!"

Es dauerte nicht lange, so war der Jüngling der berühmteste Arzt auf der ganzen Welt. "Er braucht nur den Kranken anzusehen, so weiß er schon, wie es steht, ob er wieder gesund wird oder ob er sterben muß," so hieß es von ihm, und weit und breit kamen die Leute herbei, holten ihn zu den Kranken und gaben ihm so viel Gold, daß er bald ein reicher Mann war. Nun trug es sich zu, daß der König erkrankte. Der Arzt ward berufen und sollte sagen, ob Genesung möglich wäre. Wie er aber zu dem Bette trat, so stand der Tod zu den Füßen des Kranken, und da war für ihn kein Kraut mehr gewachsen. "Wenn ich doch einmal den Tod überlisten könnte," dachte der Arzt, "er wird's freilich übelnehmen, aber da ich sein Pate bin, so drückt er wohl ein Auge zu, ich will's wagen." Er fasste also den Kranken und legte ihn verkehrt, so daß der Tod zu Haupten desselben zu stehen kam. Dann gab er ihm von dem Kraute ein, und der König erholte sich und ward wieder gesund. Der Tod aber kam zu dem Arzte, machte ein böses und finsteres Gesicht, drohte mit dem Finger und sagte: "Du hast mich hinter das Licht geführt, diesmal will ich dir's nachsehen, weil du mein Pate bist, aber wagst du das noch einmal, so geht dir's an den Kragen, und ich nehme dich selbst mit fort."

Bald hernach verfiel die Tochter des Königs in eine schwere Krankheit. Sie war sein einziges Kind, er weinte Tag und Nacht, daß ihm die Augen erblindeten, und ließ bekanntmachen, wer sie vom Tode errette, der sollte ihr Gemahl werden und die Krone erben. Der Arzt, als er zu dem Bette der Kranken kam, erblickte den Tod zu ihren Füßen. Er hätte sich der Warnung seines Paten erinnern sollen, aber die große Schönheit der Königstochter und das Glück, ihr Gemahl zu werden, betörten ihn so, daß er alle Gedanken in den Wind schlug. Er sah nicht, daß der Tod ihm zornige Blicke zuwarf, die Hand in die Höhe hob und mit der dürren Faust drohte; er hob die Kranke auf und legte ihr Haupt dahin, wo die Füße gelegen hatten. Dann gab er ihr das Kraut ein, und alsbald regte sich das Leben von neuem.

Der Tod, als er sich zum zweitenmal um sein Eigentum betrogen sah, ging mit langen Schritten auf den Arzt zu und sprach: "Es ist aus mit dir, und die Reihe kommt nun an dich," packte ihn mit seiner eiskalten Hand so hart, daß er nicht widerstehen konnte, und führte ihn in eine unterirdische Höhle. Da sah er, wie tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen brannten, einige groß, andere halbgroß, andere klein. Jeden Augenblick verloschen einige, und andere brannten wieder auf, also daß die Flämmchen in beständigem Wechsel zu sein schienen. "Siehst du," sprach der Tod, "das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halbgroßen Eheleuten in ihren besten Jahren, die kleinen gehören Greisen. Doch auch Kinder und junge Leute haben oft nur ein kleines Lichtchen." - "Zeige mir mein Lebenslicht," sagte der Arzt und meinte, es wäre noch recht groß. Der Tod deutete auf ein kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte: "Siehst du, da ist es." - "Ach, lieber Pate," sagte der erschrockene Arzt, "zündet mir ein neues an, tut mir's zuliebe, damit ich König werde und Gemahl der schönen Königstochter." - "Ich kann nicht," antwortete der Tod, "erst muß eins verlöschen, eh' ein neues anbrennt." - "So setzt das alte auf ein neues, das gleich fortbrennt, wenn jenes zu Ende ist," bat der Arzt. Der Tod stellte sich, als ob er seinen Wunsch erfüllen wollte, langte ein frisches, großes Licht herbei, aber weil er sich rächen wollte, versah er's beim Umstecken absichtlich, und das Stöckchen fiel um und verlosch. Alsbald sank der Arzt zu Boden und war nun selbst in die Hand des Todes geraten.


Hier auch der Link zum Hören des Märchens


Heilung ist ein Geschehen, das wir verfehlen oder zulassen können, auch angesichts "unheilbarer" Krankheit
Heilung ist ein Geschehen, das wir verfehlen oder zulassen können, auch angesichts "unheilbarer" Krankheit

"Das Märchen betrifft uns alle, gleichtgültig, ob wir nun gerade Königstochter, König oder Arzt sind."

Zitat von Eckhard Frick S.14 aus "sich heilen lassen" Ignatianische Impulse


Dieses Märchen enthält sehr viele Wahrheiten über unsere Menschlichkeit, auf die ich hier nicht alle eingehen kann und möchte.

Was mir aber am Herzen liegt und was ich hervorheben möchte, ist unser Umgang mit Krankheit, Leid und dem Tod, und ganz besonders unsere Verwundbarkeit, die uns, wie auch der Tod, alle gleich macht. Den "Heilungsgedanken", bzw. mein Verständnis und mein Angebot als Seelsogerin im Hospiz, im Sinne von Spiritual Care, habe ich immer als ein Angebot zum Mitgehen eines inneren Prozesses verstanden.

Und so verstehe ich meine Art und Weise, Menschen im Sterben zu begleiten, auch heute noch.


"Durch die Konfrontation mit seiner Verwundung, seinem bleibenden Hinken (hier ist von Ignatius v. Loyola die Rede) erreicht er das moderne Ich unmittelbar. Wie jeder "Hinkende"

erinnert er mich daran, das ich selbst behindert und verwundet bin.1

Sas S. Der Hinkende als Symbol. Zürich 1964


Mit dieser Haltung Menschen zu begleiten, das ich selbst "behindert und verwundet bin, erleichtert es meinem Gegenüber sich auf diesen inneren Prozess einzulassen. Ich weiß nicht wie das Sterben geht, oder ich mit einer plötzlichen lebensbedrohlichen Diagnose umgehe. Aber ich kann versuchen mich einzulassen auf einen Weg der mich innerlich "heilen" kann. Und es mir somit möglich werden kann, die Agst vor dem Tod zu verlieren. Dies biete ich als Sterbebegleiterin an.


"Die Verwundung und Behinderung des "Hinkenden" bezieht sich zunächst auf das körperliche Leiden. Sie kann sich aber genauso - wie bei Ignatius - auf seelische Leiden beziehen. Psychische Leiden sind uns aber weit weniger bewusst als physische. Bei der seelischen Verwundung besteht die Gefahr darin, dass die eigene Wunde unbewusst wird, indem ich sie verlagere (projiziere) auf den Hinkenden, der mir begegnet".

Zitat von Eckhard Frick S.8/9 aus "sich heilen lassen" Ignatianische Impulse


Und mit dieser Bewusstheit meiner eigenen Verwundungen, meiner eigenen Verletzlichkeit und Sterblichkeit, begebe ich mich meinem Gegenüber auf Augenhöhe und achte darauf Diese nicht auf die zu begleitende Person zu projizieren. Das wurde uns im KSA-Kurs, Klinikseeslorgeausbildung beigebracht.


Das Märchen vom Gevatter Tod gefällt mir deshalb so gut, weil es mir vor Augen führt, wie wir Menschen immer wieder aufs Neue versuchen der Wirklichkeit aus dem Weg zu gehen, somit die Angst vor dem Tod verdrängen und uns damit selbst schaden. Das ist einfach zu kurz gedacht, so meine Erfahrung. Es hilft einfach nicht das Bett umzudrehen, so wie im Märchen beschrieben. Die Wirklichkeit holt uns eines Tages ein! Das Leben beinhaltet neben aller Lebensfreude, auch den Schmerz und das Leid. Wir wollen es nicht - auch ich nicht. Aber ein authentischer Umgang damit, hilft mir mich lebendig zu fühlen. Und das ist die Heilung, die ich auch in der Begleitung von sterbenden Menschen immer wieder erfahre. Es gibt sie, die Lebendigkeit im Sterben - immer dann, wenn die Person sich auf diesen inneren Prozess einlässt. Wenn ich meine Angst vor dem Tod verliere, kann Frieden einkehren in der Seele, ich lerne anzunehmen was ist, auch über den Schmerz hinaus dass ich Sterben werde, oder aber einen lieben Menschen loslassen muss.

Das ist das, was mit "Heilung" gemeint ist.



Dieses Buch ist sehr hilfreich, sich mit all den dazugehörigen Gedanken und Ängsten, über Heilung, bei einer unheilbaren Krankheit, oder der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen





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